Ein ziemlich persönlicher Rückblick
Nach langen fünf Jahren Wartezeit kamen Schachbegeisterte aus Deutschland, Europa und der Welt endlich wieder in den Genuss, Weltklasse-Schach in Karlsruhe beim Grenke Chess Open und Classic live mitzuerleben.
Wer nicht nur als Zuschauer die Züge der Granden der Schachszene mitverfolgen wollte, konnte auch selbst im Open mitspielen und Teil des größten Schachturniers Europas sein. Erst zwei Monate vorher stand dem Vernehmen nach die Finanzierung fest. Daher wurde das Großereignis erst sehr spät, am 2. Februar, der Schachwelt angekündigt. Es setzte ein regelrechter Run auf das Turnier ein und am Ende fanden sich über 2600 Schachspielerinnen und Schachspieler in der Schwarzwaldhalle und der angrenzenden Gartenhalle ein. Dass das Organisationsteam um Turnierdirektor Sven Noppes es in so kurzer Zeit geschafft hat, dieses gigantische Event auf die Beine zu stellen, nötigt mir den allergrößten Respekt ab. 2606 Teilnehmende, über 300 Titelträger, davon über 40 Großmeister, 1303 Schachbretter, 41696 Schachfiguren (die Zusatzdamen an den vorderen Brettern des A-Turniers nicht mitgezählt), 168 Bretter mit Internetübertragung und über 11000 gespielte Partien an 5 Tagen zeugen von der unglaublichen Dimension dieses Spektakels.
Als Zuschauermagnet erwies sich natürlich das Einladungsturnier Grenke Chess Classic, welches in diesem Jahr als Schnellschachturnier ausgetragen wurde und das mit einer exquisiten Besetzung aufwartete. Mit dem Weltranglistenersten Magnus Carlsen, Weltmeister Ding Liren, dem besten deutschen Schachspieler Vincent Keymer, den Weltklassespielern Maxim Vachier-Lagrave und Richard Rapport, sowie dem Open-Sieger von 2019 Daniel Friedman, hatten alle Wunschkandidaten zugesagt und sorgten für die gewünschte mediale Aufmerksamkeit. Das Format, mit einem zunächst doppelrundigen Rundenturnier und den abschließenden Duellen um die Plätze 1, 3 und 5 am Ostermontag, war etwas gewöhnungsbedürftig, aber für die Zuschauer kurzweiliger und spannender als ein Standardturnier mit langer Bedenkzeit. Erwartungsgemäß gewann Magnus Carlsen den Zweikampf um den Turniersieg mit Richard Rapport und durfte bei der Siegerehrung den riesigen Siegerpokal entgegennehmen.
Leider wurde durch das parallel laufenden Classic dem Open aus meiner Sicht nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit zuteil, obwohl dort einige Weltklassespieler, allen voran der indische Jungstar Arjun Erigaisi, mitwirkten. Pikant war die Teilnahme von Hans Moke Niemann, wegen des bekannten Streits mit Magnus Carlsen.
Mit seinem alleinigem Turniersieg wird Hans Niemann den Turnierverantwortlichen einiges Kopfzerbrechen bei den Planungen für 2025 bereiten. Er hat sich damit zwar gemäß der Tradition für das nächste Classic qualifiziert, dass er tatsächlich eingeladen wird, ist aber kaum vorstellbar. Höchstwahrscheinlich wird Magnus Carlsen dagegen ein Veto einlegen. Im Zweifel werden die Sponsoren, die ja die "Party bezahlen" (Sven Noppes), lieber Magnus Carlsen als Hans Niemann sehen wollen.
Als mein persönliches Highlight der Veranstaltung bleibt mir sicher der rührende Heiratsantrag von IM Ilja Schneider an seine langjährige Freundin Olga auf offener Bühne in Erinnerung, die diesen unter tosendem Beifall des ganzen Saals mit "Ja" beantwortete. Ija und Olga hatten sich 2016, bei der ersten Austragung des Turniers kennengelernt und haben bereits zwei gemeinsame Kinder.
Es lohnt sich, einmal die Homepage des Turniers https://grenkechessopen.de zu besuchen. Hier finden sich viele Informationen, Partiefragmente, Geschichten und Videos rund um dieses tolle Event.
Aus Forster Sicht war das Grenke Open 2024 sportlich eher Flop als Top. Julian Dauner, einziger Forster Teilnehmer im A-Open, erzielte 2,5 Punkte aus 7 Partien, bevor er krankheitsbedingt die beiden letzten Runden aussetzte. Mit dem Ergebnis war Julian nicht zufrieden, da er zeitnotbedingt einige Punkte liegen ließ.
Hier ein netter Damenfang aus der 2. Runde.
Die weiterern Forster Teilnehmer starteten im B-Turnier.
Hier erlebte Philipp Golibrzuch sein Waterloo mit 0 Punkten aus 7 Partien. Die letzten beiden Runden schenkte er sich. Da wird es im Jugendtraining viel zu analysieren geben.
Enttäuschend verlief das Turnier auch für Egon Hartmann, der auf 2,5 Punkte aus 9 Partien kam und 42 DWZ-Punkte einbüßte.
Bei mir gab es Höhen und Tiefen. Nach vielen ausgelassenen Chancen und einem taktischen Fauxpas in der Schussrunde, kamen 5,5 Punkte aus 9 Partien zusammen, die wahrscheinlich ein kleines Elo-Plus ergeben werden, die aber auch 22 DWZ-Punkte gekostet haben. Ich hatte das Pech, drei Gegner ohne DWZ-Zahl zugelost zu bekommen und trotz 2 Punkten aus diesen 3 Partien, gab es einen dicken Punktabzug dafür. Bei der DWZ-Berechnung werden DWZ-lose meines Wissens mit der Einstiegszahl gewertet, anstatt gar nicht oder mit der jeweiligen DWZ-Turnierleistung.
Meine "Leidensgeschichte" kann der geneigte Leser im folgenden selbst nachvollziehen.
Runde 1
Nach wechselvollem Verlauf mit anfänglichem weißem Vorteil hatte Schwarz nach einem weißen Versehen eine Gewinnstellung erreicht. In beiderseitiger Zeitnot ermöglichte mir mein Gegner durch seinen letzten Zug eine unverhoffte Rettungsmöglichkeit, die aber ungenutzt blieb.
Durch 31. Lxc5 Dxc5 32. Lxg6! Txe2 33. Lxh7+ Kh8 34. Lf5+ Kg8 35. Lh7+ mit Remisschaukel wäre der halbe Punkt sicher gewesen.
Die Partie endete trotzdem unentschieden, weil Schwarz wenige Züge später mit noch 8 Sekunden auf der Uhr trotz Inkrement mein verzweifeltes Remisangebot annahm.
Allerdings befand sich mein Kontrahent im Ausnahmezustand, da ihm vor der Partie seine Jacke und sein Rucksack abhanden gekommen waren und diese bis zum Ende des Turniers nicht wieder auftauchten. Später wurde ihm auch noch sein Handy geklaut, das er aber dank Ortungssystem wiederfand, weil der Dieb wegen der Ortungsmeldung auf dem Gerät wohl kalte Füße bekam. Das Turnier wird Herrn König sicher noch lange im Gedächtnis bleiben...
Runde 2
Nach einer sehr kurzen Nacht, die für meinen Gegner noch kürzer war, da dieser risikofreudig aus dem südbadischen Emmendingen täglich mit der Deutschen Bahn anreiste, stand nach recht ausglichenem Partieverlauf folgende Stellung auf dem Brett. Der letzte weiße Zug b2-b3 ermöglichte eine kleine Taktik, die mir das Läuferpaar einbrachte und die gegenerische Bauernstruktur verschlechterte.
Es geschah 16. ... Sg4! 17. fxg4 Lxh4 18. g3 Le7 mit schwarzem Vorteil. Die Alternative 17. Lxe7 Sxe3 18. Dd2 Sxd1 19. Txd1 axb3 (aber nicht 19. ...Txe7? 20. Sxd5=) 20. axb3 (20. Ld6 b4) b4 hätte zu einer schwarzen Gewinnstellung geführt.
Im weiteren Verlauf konnte ich meinen Vorteil weiter vergrößern bis zu der Stelle, als ich einer Fata Morgana erlag, die den bisherigen Verlauf auf den Kopf stellte und Weiß eine Gewinnstellung bescherte. Kurz vor der Zeitkontrolle hatte ich nochmals eine Chance auf Ausgleich, die ich aber in hochgradiger Zeitnot wieder ungenutzt verstreichen ließ.
Zu erwähnen wäre, dass die Partie unter erschwerten Bedingungen gespielt wurde (empfindliche Leserinnen und Leser mögen den folgenden Abschnitt überspringen).
Am Nebenbrett hatte nämlich ein Jugendspieler sein Frühstück neben sich auf den Boden erbrochen, was ihn allerdings nicht daran hinderte, anschließend fröhlich weiter Gummibärchen zu konsumieren. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis der Reinigungsdienst kam und die Hinterlassenschaft beseitigt hatte. Währenddessen musste so mancher Spieler in der Umgebung des Geschehens, ich eingeschlossen, wegen des Geruchs mit Würgereizen kämpfen. Der Gegner des Pechvogels kommentierte es so: "I hab scho viel beim Schach erläbt, aber so ebbes no ned".
Runde 3
Nach der Enttäuschung der 2. Runde folgte gleich die nächste in Runde 3. Ich hatte wieder eine sehr gute Stellung erreicht, dann aber den falschen Plan gewählt, wonach mein klarer Vorteil sich deutlich verkleinert hatte.
Mit dem letzten Zug Sc4 stellte ich meinem Gegner ein paar Probleme, da ja Sxc4 wegen Ta8+ nicht möglich war. Notwendig wäre gewesen: 27. ... O-O 28. Sxd6 Txb3 29. Tf3 Tb4 30. Taf1 mit Gewinn des f-Bauern und leichtem weißen Vorteil. Schwarz spielte nach langem Nachdenken trotzdem Sxc4 und ich nahm aus unerfindlichen Gründen mit bxc3 den Springer zurück, statt mit Ta8+ zu gewinnen. Nach Tb8 war die Stellung ausgeglichen und endete später remis.
Runde 4
In der 4. Runde ergab sich nach einem bekannten Scheinopfer im 5. Zug folgende Stellung, die für Schwarz mit Läuferpaar und halboffener b-Linie deutlich angenehmer zu spielen ist.
Hier zog Weiß 13. Lf4?? und verband den Zug mit einem Remisangebot. Das wurde natürlich mit 13. ... Le6 nebst Figurengewinn abgelehnt. Weiß versuchte noch 14. Lg5, warf dann aber nach 14. ... Lxc4 15. Lxf6 Lxf1 16. Lxg7 Kxg7 17. Txf1 Tfe8 das Handtuch. Nach dieser Kurzpartie hatte ich endlich mal die Gelegenheit, bei den Spitzenkönnern im A-Turnier zu kiebitzen.
Runde 5
Nach einer kleinen Ungenauigkeit in der Eröffnung gelang es mir, meine Stellung nach und nach zu verbessern. Meine Gegnerin hatte 10 Züge lang versäumt, ihren Randspringer mit Sg8 in eine rosigere Zukunft zu führen. Nach der kurzen Rochade war es dafür zu spät.
Es kam 22. f5, wonach f6 nebst Dg5 droht. Hier entschloss sich Schwarz, mit 22. ... exf5 23. g5 Sg4 24. hxg4, das arme Tier den Heldentod sterben zu lassen. Allein, es nutzte nichts. Am Ende setzte sich der weiße Materialvorteil durch.
Die Alternativen 22. ... Tfb8 23. f6 Qf8 24. fxg7 Dxg7 25. Se2 mit dem Plan Sg3-h5-f6 oder 22. ... Da7 23. Df4 f6 24. exf6 Txf6 25. Tae1 mit baldigem Gewinn des schwarzen e-Bauern, oder auch gleich 22. ... f6 23. exf6 Dxf6 24. Qxe6+ mit Bauerngewinn wären ebenfalls klar vorteilhaft für Weiß gewesen.
Runde 6
Am Ostersonntag wurde ich einem ehemaligen Mannschaftskameraden aus alten KSF-Zeiten zugelost - bemerkenswert, da es doch dutzende, wenn nicht hunderte andere Möglichkeiten gegeben hätte. Es kam ein Londoner System aufs Brett, dem mit Schwarz schwer beizukommen ist. Die Partie verlief lange ausgeglichen, bis Weiß durch eine Unachtsamkeit im Damenendspiel einen Bauern einstellte.
In dieser Stellung spielte ich 43. ... a5? und büßte mit diesem Fehler eigentlich alle Gewinnchancen ein. Es folgte 44. Kg2 Kg7. Nun hätte Weiß mit 45. Da8 das Remis erreichen können, da er seinen a-Bauern stets decken kann, egal wie Schwarz ihn angreift und der Vorstoß b5 keine Option ist. Zum Beispiel 45. ... Dd7 46. De4 oder 45. ... Da2/b3/c4/g4 46. De8. Mein Gegner zog aber 45. Kg1?, wonach ich mit 45. ... De1+ 46. Kg2 De8 den a-Bauern und damit die Partie gewinnen konnte. Stattdessen spielte ich aber 46. ... Db4? und ermöglichte Weiß mit 47. Dd7 das Remis sicherzustellen. Ein gerechtes Ergebnis angesichts der beiderseitigen Schachblindheit.
Runde 7
Nach einer "kleinen" Stärkung wartete am Nachmittag ein nervös wirkender junger Mann auf mich, der während der gesamten Partie nicht stillsitzen konnte. Nachdem ich in der Eröffnung ein langfristig angelegtes Bauernopfer gebrachte hatte, kam es nach der fehlerhaften schwarzen Rochade zu folgender Stellung.
Hier hätte ich mit 12. Sc7 bereits eine Gewinnstellung erreichen können. Vielleicht noch zu träge vom üppigen Mittagsmahl, meinte ich, nach 12. ... Sxe5 13. Sxe5 Dxc7 einen Bauern eingebüßt zu haben. Wenn ich ein wenig weiter gerechnete hätte, wäre mir wohl aufgefallen, dass Schwarz nach 14. Dg3 keine gute Antwort auf die Drohung Txh6 gehabt hätte.
14. ... Kh8 15. Sg6+ fxg6 16. Dxc7 hätte zum Damengewinn geführt und 14. ... Kh7 15. Ld3+ f5 16. Dg6+ zu starkem Angriff nach g4 oder Th4. Auch nach 14. ... f6 15. Txh6 fxe5 16. Ld3 Kf7 17. Dg6+ Ke7 18. Dxg7+ Tf7 19. Dxf7+ Kxf7 20. Th7+ Ke8 21. Txc7 wären die schwarzen Lichter ausgegangen.
Später schraubte mir mein jugendlicher Kontrahent den wichtigen e5-Bauern aus der Stellung. Mein nachfolgender Angriff mit Turmopfer wurde kaltblütig mit einem Rückopfer der Qualität und einer Königswanderung zum Damenflügel abgewehrt.
Hier führen viele Wege zum schwarzen Sieg, nur nicht die Partiefolge 32. ... Kxa6 33. Da4+ Kb6 34. Da5 matt. Glück muss der Mensch haben. Beinahe hätte ich's mit nur noch wenigen Sekunden auf der Uhr nicht gesehen.
Runde 8
Nach dem miserablen Start sah die Ausgangslage am Schlusstag gar nicht so schlecht aus. Mit zwei Siegen wäre noch ein ordentliches Ergebnis möglich gewesen. Der erste Streich folgte in Runde 8 mit meiner besten Partie in diesem Turnier.
Weiß hatte seine Entwicklung vernachlässigt und befand sich bereits in einer aussichtslosen Lage. Der Versuch, sich mit 22. Sxd4 Txe5 23. Lf4 zu befreien, funktionierte nicht. Es folgte 23. Txe4 24. Txe4 Lxe4 25. Te1. Weiß gedachte, durch den Angriff auf beide Läufer die Figur zurückzugewinnnen, aber nach 25. ... Lf6 26. Txe4 Td8 zeigte sich, dass dem wegen der weißen Grundreihenschwäche nicht so war. Nach 27. Sf3 Td1+ 28. Te1 (28. Se1 Sc2) Txe1+ 29. Sxe1 Lxb2 hätte der b-Bauer den verbliebenen Läufer gekostet, ebenso wie nach dem gespielten 27. Ld2 Txd4 28. Txd4 Lxd4 29. Lxb4 Lxb2. Weiß gab einen Zug später auf.
Runde 9
Der zweite Streich folgte leider nicht, da ich in der folgenden Stellung den taktischen Holzweg wählte.
Nach dem erzwungenen 13. ... f6 hätte 14. Txf6 Lxf6 15. Lxf6 Txf6 (15. ... Tf7?? 16. Dg5+ Kf8 17. Lh5 +-) 16. Dxf6 Sc6 (16. ... exd3 17. Lxd3 wäre zu gefährlich für Schwarz) 17. Dxd8+ Sxd8 18. exd4 zu einem ausgeglichenen Endspiel geführt. Doch ich spielte unbekümmert 14. Lxf6?? und fiel nach 14. ... Txf6! aus allen Wolken, da nach 15. Txf6 Sg6 die Figur und die Partie verloren war.
Turnierdirektor Sven Noppes zeigte sich zuversichtlich, dass das Grenke Chess Open und Classic auch 2025 seine Fortsetzung finden wird. Es wäre schön, wenn im nächsten Jahr mehr Forster Schachspieler an diesem großartigen Turnier mit seiner einmaligen Atmosphäre teilnehmen würden.
Bericht: Karl Dauner